Orgelkonzert
1. Oktober 2015
I 19.30 Uhr
Kopenhagen, Grundtvigskirken

Deutsche Orgelromantik

Werke von F. Mendelssohn Bartholdy, J. Brahms, G. Merkel und F. Liszt (Fantasie und Fuge über den Choral „Ad nos, ad salutarem undam“)

Das heutige Programm widmet sich der deutschen Orgelromantik. Ein Begriff, der sich nicht leicht definieren läßt, da sich uns in einer Spanne von etwa 100 Jahren ein Panorama bietet, daß äußerst divers ist. Besonders zwei Pole kristallisieren sich hierbei heraus: Auf der einen Seite die Traditionalisten, die sich trotz aller harmonischer Erweiterungen vor allem formal auf wenig Experimente einließen. Auf der anderen Seite die Modernisten, allen voran Franz Liszt, die mit vielen Konventionen brachen und die Orgelmusik mit neuen Elementen bereicherten.
Felix Mendelssohn Bartholdy betrat mit seinen Orgelkompositionen quasi Neuland. Die große Tradition an deutschen Orgelvirtuosen und der Stellenwert der Orgelmusik hatte schnell nach J.S. Bachs Tod enorm an Bedeutung eingebüßt. Mendelssohns Sonaten sind erste Versuche, neue Formen zu erproben und dem Instrument wieder eine eigenständige Bedeutung zu geben.
Die quasi viersätzige Sonate c-moll führt emotional von der ernsten Introduktion über den liedhaften Gesang des Adagios und das festliche Allegro bis hin zur weich fließenden, sich zu großem Finale aufbauenden Fuge ein Panorama an musikalischen Charakteren vor. Trotz der unkonventionellen Folge der Sätze und der großen Kontraste ist Mendelssohn ein harmonisch geschlossenes Werk gelungen.
Gustav Merkels Variationen stellen für das Orgelrepertoire eine attraktive Bereicherung dar. Die Überfigur Beethoven war noch lange im 19. Jahrhundert großes Vorbild für viele Komponisten. (Oft war seine Musik eine Quelle der Inspiration, im Falle von Brahms jedoch wirkte sein scheinbar unerreichbarer Nimbus mitunter eher hemmend…) Merkel geht ganz unbefangen mit dem Thema um, das spielerisch und phantasievoll verändert wird. Vor allem das Finale ist Konzertliteratur pur und nicht nur durch die virtuose Pedalbehandlung und das überraschende Ende äußerst effektvoll.
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es zu einer fundamentalen Neuentdeckung der Barockmusik. Musikwissenschaftler und Komponisten studierten die alten Meister. Johannes Brahms z.B. war als Herausgeber an Neueditionen von Klaviermusik beteiligt. Vor allem in seinem Orgelwerk sind deutliche Einflüsse der barocken Orgelmusik erkennbar. Opus post. 122 Nr. 1 ist hierfür ein gutes Beispiel: Jede einzelne Choralzeile wird, ganz in der alten Tradition Pachelbels, einzeln vorgestellt und fugato-artig “vorimitiert”, bevor der cantus firmus in langen Notenwerten im Pedal erscheint. Das Werk gewinnt seinen Charme dadurch, daß Brahms’ spätromantische Tonsprache und die barocke Grundform des Werkes eine originelle Symbiose eingehen.
Die deutsche Orgelromantik hat auch ein großes Repertoire an Bearbeitungen hervorgebracht. Vor allem der Kreis um Liszt war hierbei äußerst produktiv und kreativ. Liszt zeigte keinerlei Berührungsängste, als er Stücke aus dem Klavier-, Orchester- und Opernrepertoire adaptierte. Erscheint das Übertragen eines Stückes aus dem Tannhäuser für die Orgel vielleicht noch etwas studienhaft, hat Liszt mit „Ad nos, ad salutarem undam“ sein Opus magnum für dieses Instrument geschaffen, dessen Bedeutung weit über die Stichworte Bearbeitung oder Reminiszenz hinausgeht. Die ursprüngliche Quelle des Themas ist nur noch Ausgangspunkt und letztlich dem Gestaltungswillen Liszts vollkomen unterworfen. Nicht nur die Länge des Werkes ist seinerzeit unerhört gewesen. Auch formal und spieltechnisch erweitert Liszt den Rahmen des Genres Orgelmusik enorm. Die quasi dreiteilige Form ist im Prinzip eine große rhapsodische Paraphrase, in der die harmonischen Grenzen und die klanglichen Möglichkeiten des Instruments komplett ausgelotet werden – Herausforderung für Spieler wie Hörer zugleich.